Demian Lienhard – Mr. Goebbels Jazz Band (Zürich liest) 

Eingeführt von Andrea Weber 

Es klingt unglaublich, ist aber historisch verbürgt: Der für Nazis als entartet geltende Jazz wurde von ihnen für Propagandazwecke missbraucht. Goebbels liess mittels der Jazzband «Charlie and His Orchestra» während des Zweiten Weltkrieges Songs für den Propaganda-Radiosender «Germany Calling» nach Grossbritannien, Irland und in die USA ausstrahlen. Demian Lienhard dient diese wenig bekannte und absurde Tatsache als Stoff für seinen zweiten Roman. Er erfindet dazu einen Schweizer Schriftsteller namens Fritz Mahler, welcher den Auftrag erhält, einen Propagandaroman zu schreiben. Um das Wirken der Band zu dokumentieren, findet er sich in verruchten Berliner Bars wieder und bietet den Leser:innen auch sprachlich den Sound des Berlins der 40er- Jahre. Während Demian Lienhard mit ironischer Stimme den menschenverachtenden Zynismus der Nationalsozialisten entlarvt, unterhält er mit seinem temporeichen Roman auch blendend. 

Demian Lienhard, geboren 1987, aus Bern, hat in klassischer Archäologie promoviert. Für sein Romandebüt «Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat» (2019) wurde er mit dem Schweizer Literaturpreis 2020 ausgezeichnet. Für seinen neuen Roman absolvierte er Rechercheaufenthalte in Galway, London und Berlin. Demian Lienhard lebt und arbeitet in Zürich. 

23.10.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Anna Ospelt – Frühe Pflanzung 

Eingeführt von Ruth Loosli

«Weil die Liebe mitwächst», schreibt Anna Ospelt. Der Band ist in «Frucht», «Frühe Pflanzung» und «Flora» aufgeteilt – ein Ineinandergreifen von «wachsen und warten» in der Natur wie auch im Körper der Schreibenden. Das Kind kommt zur Welt, draussen machen sich erste Frühblüher bemerkbar – der Rhythmus des Kindes bestimmt den Alltag der Mutter, diese lässt sich darauf ein, ihr bleibt keine andere Wahl: «Ich denke an den Vorgang der Häutung bei Schlangen», schreibt sie, «die abgelegte Haut nennt man Natternhemd.» So nimmt uns die Dichterin mit auf eine Reise und führt uns in Räume, die zum Bleiben und Nachdenken einladen. Ihre Notate sind eine konzentrierte Untersuchung von Elternschaft, verschränkt mit präzisen Naturbeobachtungen, stets in einer Sprache von grosser poetischer Kraft. 

Anna Ospelt, geboren 1987 in Vaduz, studierte Soziologie, Medien und Erziehungswissenschaften in Basel. Sie publiziert unter anderem Lyrik und Kurzgeschichten. Für ihr Buch «Wurzelstudien» (2020) war sie für den Clemens-Brentano-Preis nominiert. 

Musikalische Begleitung – Tilia

06.11.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Ingeborg Bachmann & Max Frisch – Wir haben es nicht gut gemacht

Eingeführt von Lisa Briner

«Wir werden einem Ovomaltineleben entgegengehen und vor Gesundheit und Normalität nur so strotzen», schreibt Ingeborg Bachmann im Dezember 1960 an Max Frisch. Normalität allerdings ist gerade nicht das, was den letztes Jahr veröffentlichten Briefwechsel zwischen Bachmann und Frisch auszeichnet. In fast 300 überlieferten Briefen legt er Zeugnis ab von der Arbeit und der komplizierten Beziehung eines der bekanntesten Paare der deutschsprachigen Literatur: Eine Liebe, die auch in der Literatur ihre Spuren hinterlassen hat. Die Korrespondenz, die 1958 beginnt und bis weit über die Trennung hinausreicht, zeichnet ein neues, überraschendes Bild der Beziehung zwischen Frisch und Bachmann. Sie stellt gängige Schuldzuweisungen in Frage und macht die enge Verknüpfung von Leben und Werk deutlich: Die Briefe sind intime Mitteilungen und Weltliteratur zugleich. 

Thomas Strässle, geboren 1972, ist Literaturwissenschaftler, Autor und ausgebildeter Musiker. Er lehrt an der Berner Fachhochschule und ist Titularprofessor am Deutschen und am Komparatistischen Seminar der Universität Zürich. Zudem präsidiert er die Max Frisch-Stiftung an der ETH Zürich. Marion Koch ist Schauspielerin und Sprecherin und lebt in der Nähe von Zürich. 

11.12.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Thomas Heckendorn – Carte blanche

Eingeführt von Ruth Loosli

Thomas Heckendorns Lyrikpublikationen widerspiegeln zeitgeschichtliche Entwicklungen
und Fussabdrücke. 2020 schloss sich ein Kreis seiner Lyrik mit «DANKEUNDAUFWÜRDESEHN», erschienen im Caracol Verlag. Gegenwärtig sammelt Thomas Heckendorn seine Exkurse in die Kurzprosa, in die dieser Abend Einblick geben soll.
Die Texte, ob ernst oder heiter, blicken immer auch voraus auf das Schweigen, in das unsere Lebensläufe einmünden. Die lyrische Erzählung «Lage der Dinge. Lage der Zunge» endet mit den Worten: «Die Kunst ist das Leben. Nach ALPHA und OMEGA bezahle ich Charon mit der Münze, die unter meiner Zunge liegt. Was soll ich noch sagen? Über der Münze bewegt sich die Zunge nicht. Kein staunendes O mehr und kein furchtsames U! Wenn die Zunge sich wölbte, verlör ich die Münze. Was bleibt mir? Aha.»
Wir freuen uns auf die «Carte blanche» mit einem stillen, unermüdlichen Dichter, der
uns mit Sicherheit auch mit seiner Prosa überraschen wird.


Thomas Heckendorn
wurde 1952 geboren und arbeitete bis 2018 als Kantonsschullehrer in Winterthur. Seit 1978 schrieb er eine Vielzahl an Texten, unter anderem «Ein Zug fährt nach RIP» (SchwarzHandPresse). Heckendorn lebt heute im Poesiestadel Amenloch in Flaach.

10.07.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

ABGESAGT: Daniela Dröscher – Lügen über meine Mutter 

Infolge Krankheit muss die Lesung am 27.11.2023 leider abgesagt werden.


Eingeführt von Adriana Rey 

Das Problem, das die Ehe der Eltern und damit auch die Kindheit der Ich-Erzählerin Ela prägt, ist simpel – zumindest, wenn man Elas Vater glaubt: Die Mutter ist zu dick. In diesem apodiktischen Urteil liegt Vaters Rechtfertigung, seine Frau ständig zu drangsalieren, und zugleich die Erklärung für alles, was in seinem eigenen Leben misslingt. Ela ist der Situation ausgeliefert, schwankt zwischen Liebe für die Mutter, einer durchaus starken und bewundernswerten Frau, und der Übernahme des kritischen Blicks des Vaters. Reflektieren und einordnen kann das alles erst die erwachsene, soziologisch und feministisch geschulte Tochter, die der kindlichen Erzählstimme in kurzen Zwischenkapiteln zur Seite gestellt wird. 

Daniela Dröscher setzt in dieser «in vielerlei Hinsicht absolut fiktive[n] Geschichte» der Mutter ein literarisches Denkmal und lässt ihre Leser:innen über patriarchale Strukturen, gesellschaftliche Zuschreibungen und Schönheitsideale nachdenken. 

Daniela Dröscher, geboren 1977, aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, lebt in Berlin. Sie wurde unter anderem mit dem Anna-Seghers-Preis, dem Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds sowie dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet. «Lügen über meine Mutter», ihr dritter Roman, stand 2022 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. 

27.11.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Peter Stamm – In einer dunkelblauen Stunde

Eingeführt von Claudio Notz

Der Winterthurer Schriftsteller Peter Stamm feiert – und wir dürfen seinen neusten
Roman mit ihm feiern: Seit Tagen wartet die Dokumentarfilmerin Andrea mit ihrem
Team auf Richard Wechsler in seinem Heimatort in der Schweiz. Bei ersten Aufnahmen
in Paris hatte der bekannte Schriftsteller wenig von sich preisgeben wollen und
nun scheint der ganze Film zu scheitern. In den kleinen Strassen und Gassen des
Ortes sucht Andrea entgegen der Absprache nach Spuren von Wechslers Leben. Doch
erst als sie wieder seine Bücher liest, entdeckt sie einen Hinweis auf eine Jugendliebe,
die noch immer in dem kleinen Ort leben könnte. Eine Jugendliebe, die sein ganzes
Leben beeinflusst hat und von der nie jemand wusste.

Peter Stamm, 1963 in Weinfelden geboren, lebt in Winterthur. Er studierte einige
Semester Anglistik und Psychologie, bevor er als Journalist und Schriftsteller tätig
wurde. Seit seinem Roman «Agnes» ist ein breites Erzählwerk entstanden. 2018 erhielt
Peter Stamm den Schweizer Buchpreis.

30.01.2023

19.30 Uhr

Alte Kaserne, Technikumstrasse 8, 8403 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Ursula Fricker – Gesund genug

Eingeführt von Lisa Briner

«Selber schuld» hat Hannes Vater zu allen gesagt, die krank wurden, «da kann man einmal sehen.» Nachdem ihm ein Buch über das «sonnseitige Leben» in die Hände gefallen war, hat er sein Leben radikal umgestellt. Alles soll natürlicher werden, reiner, gesünder: Kein Zucker, kein Fleisch, kein Fernsehen, kein Schwimmunterricht in Chlorwasser, kein Umgang mit Leuten, die nicht ebenso gesund leben – also mit niemandem. Nun hat er selbst Darmkrebs im Endstadium. Und Hanne, die ihrem Elternhaus längst den Rücken gekehrt hat, würde an seinem Sterbebett am liebsten sagen: «Da kann man einmal sehen.» Noch einmal wird das Aufwachsen unter dem väterlichen Gesundheitsdiktat lebendig, aber auch ihr befreiendes Weggehen – und was sie trotz allem mit ihrem Vater verbindet.
In schnörkelloser Sprache und starken Bildern erzählt Ursula Fricker, wie die Sehnsucht
nach dem richtigen Leben ins falsche führt. Und von einer Gegenkraft: der Literatur.


Ursula Fricker, 1965 in Schaffhausen geboren, lebt als freie Autorin in der Nähe von
Berlin. Ihr Roman «Ausser sich» (2012) war nominiert für den Schweizer Buchpreis,
«Gesund genug» (2022) für den Alfred-Döblin-Preis 2021. Kürzlich wurde sie mit dem
Georg-Fischer-Kulturpreis der Stadt Schaffhausen ausgezeichnet.

06.03.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Martina Clavadetscher – Vor aller Augen

Eingeführt von Evelyn Schertler Kaufmann

Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge, die Dame mit dem Hermelin, Frauen auf weltberühmten Gemälden von Leonardo da Vinci, Vermeer, Rembrandt, Courbet, Schiele, Munch. Wir sehen ihre Körper, ihre Blicke, ihre Kleidung, verbannt in einen ewigen Augenblick. Doch wer waren sie ausserhalb dieses Moments, wie haben sie gelebt, gefühlt, gedacht? Martina Clavadetscher wagt mit ihrer brillanten Idee einen radikalen Perspektivenwechsel. Sie lässt die porträtierten Frauen erzählen, gibt ihnen ihre je eigene Stimme und ihre Namen zurück: Sie werden quasi als Objekte von der Leinwand gelöst, zu Subjekten gemacht. Mal sprechen sie eloquent, mal ruppig, unverblümt, kritisch oder schambefreit, oft charmant – und sind so authentische Zeuginnen einer lustvollen Emanzipation aller Modelle der Kunstgeschichte.

«Diese Frauen waren immer auch Mitarbeiterinnen, Künstlerinnen, Unterstützerinnen, Auslöser, ein Spiegel ihrer Zeit, Ikonen, Inspiration, Partnerinnen, Retterinnen», sagt die Autorin. Eindringlich fördert sie in der Verschränkung von kunsthistorischem Wissen und Anekdoten schillernde Juwelen von Frauenleben zutage, die in 19 sprachlich virtuosen, tiefgründigen Vignetten äusserst vergnüglich zu lesen sind.

Martina Clavadetscher, geboren 1979, ist Schriftstellerin und Dramatikerin. Nach ihrem Studium der Deutschen Literatur, Linguistik und Philosophie arbeitete sie für diverse deutschsprachige Theater, gewann den Essener Autorenpreis und war für den Heidelberger Stückemarkt nominiert. Für ihren Roman «Die Erfi ndung des Ungehorsams» erhielt sie 2021 den Schweizer Buchpreis. Sie lebt in der Schweiz.

17.04.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Marie Gamillscheg – Aufruhr der Meerestiere

Eingeführt von Adriana Rey

Die junge Meeresbiologin Luise ist ehrgeizig und kommt auf dem akademischen Karriereweg gut voran. Das «Inselleben» am Institut passt zu ihr, vor verbindlichen Beziehungen scheut Luise zurück und fokussiert sich lieber auf ihr Forschungsobjekt, das ebenso anpassungsfähig und ortsungebunden ist wie sie: die Meerwalnuss, eine leuchtende Qualle, die sich invasiv in den Weltmeeren verbreitet. Ein Kooperationsprojekt der Universität mit einem Tierpark führt Luise in ihre Geburtsstadt Graz. Dort wird sie mit dem Idol ihrer Kindheit in Person des Tierparkdirektors ebenso konfrontiert wie mit der jahrelangen Entfremdung von ihrem Vater. Gelingt es der jungen Frau, doch noch so etwas wie Zugehörigkeit zu finden – und will sie das überhaupt? In poetisch verdichteter Sprache mit teilweise traumähnlichen Passagen beschreibt Marie Gamillscheg das Ringen einer jungen Frau mit sich selbst und ihrer Umwelt, ihren Kampf um Selbstbestimmung und ihre Auseinandersetzung mit dem eigenen Platz innerhalb des Geflechts menschlicher Beziehungen. Nicht zuletzt wirft der Roman spannende Fragen nach der Beziehung von Mensch und Tier auf.

Marie Gamillscheg, geboren 1992 in Graz, lebt als freie Autorin in Berlin. Ihr Roman «Alles was glänzt» wurde mit dem Österreichischen Literaturpreis für das beste Debüt 2018 ausgezeichnet. «Aufruhr der Meerestiere» stand 2022 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

05.06.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder

Tabea Steiner – Immer zwei und zwei

Eingeführt von Andrea Weber

Nachdem Tabea Steiner in ihrem Debüt «Balg» mit ihren Figuren, dem verwahrlosten Kind Timon und dem ehemaligen Lehrer Valentin, das einengende Leben in einer Dorfgemeinschaft gezeichnet hat, dringt sie in ihrem zweiten Roman «Immer zwei und zwei» in die Tiefen einer Glaubensgemeinschaft ein. Die Protagonistin Natali lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in der heilen Welt einer religiösen Gruppierung. Doch die klaren Regeln und Strukturen, die normalerweise Halt geben sollten, schnüren ihr zunehmend die Luft zum Leben ab. Nur als Bildhauerin in ihrem Atelier ist sie noch sie selbst. Ihre Aussenkontakte zeigen ihr aber einen anderen Ausschnitt der Welt, der auch ihren Töchtern nicht verborgen bleiben soll. Ein schwieriger Weg in die Selbstbestimmung beginnt.


Tabea Steiner, Jahrgang 1981, ist auf einem Bauernhof in der Nähe des Bodensees aufgewachsen und hat Germanistik und Geschichte studiert. Sie hat das Thuner Literaturfestival Literaare initiiert, ist Mitorganisatorin des Berner Lesefestes Aprillen und war bis 2022 Mitglied der Jury der Schweizer Literaturpreise. 2019 erschien ihr erster Roman «Balg», der für den Schweizer Buchpreis nominiert war. Die Essay-Auswahl «Provinces» erschien 2022 bei Stranger Press. Tabea Steiner lebt und arbeitet in Zürich.

15.05.2023

19.30 Uhr

Coalmine Café, Turnerstrasse 1, 8401 Winterthur

Tickets CHF 20.- / CHF 10.- mit Legi oder Kultur-Legi / gratis für Mitglieder